Montag, 21. November 2016

Kleinkinder und Eltern - zwei Welten prallen auf einander

Unsere Tochter ist schon länger in der Trotzphase, aber momentan ist es mal wieder besonders heftig. Alles wird zum Kampf - vom Anziehen bis zum Zähneputzen.
Mir hilft der Gedanke daran, dass ihr Gehirn noch in der Entwicklung ist und besonders die obere Gehirnhälfte, die für Vernunft zuständig ist, noch recht schwach und störanfällig ist, während das untere Gehirn, das von Gefühlen gesteuert wird, noch viel stärker ist.
Spannend finde ich aber auch, wie anders Kleinkinder ticken. Wo wir Erwachsenen immer hektisch sind, haben sie alle Zeit der Welt. Wo wir einen Stau sehen, staunen sie begeistert über die vielen Autos. Wo wir zwischen Arbeit und spiel unterscheiden und Arbeit natürlich immer wichtiger ist, ist für Kleinkinder die ganze Welt ein Spiel.
Und vermutlich erscheint unseren kleinen Wutknilchen das Verhalten von uns "vernünftigen" Erwachsenen manchmal auch ziemlich unsinnig ...
L.R. Knost verdeutlich hat das auf sehr amüsante Weise in einem fiktiven Dialog zwischen zwei Kleinkindern. Leider liegt das Buch nur auf Englisch vor, aber weil er mich so begeistert hat und auch in meinem neuen Buch eine Rolle spielen soll, habe ich ihn mal übersetzt:



Kleinkind 1: Du siehst ein bisschen aufgebracht aus, Kumpel. Hattest du einen harten Tag?

Kleinkind 2: Hart ist viel zu harmlos! Ich liebe meine Mami wahnsinnig doll, aber ehrlich, Sie hat KEINE Ahnung, wie man teilt. Ich habe eine Kleinigkeit aus ihrem Portmonnaie genommen und sie ist ausgerastet! Nahm es mir weg und rief: „Mein“ und das alles. Und das auch noch mitten im Geschäft! So was von peinlich. Jeder starrte mich an und rollte mit den Augen. Ich habe mich echt wie ein totaler Vollidiot gefühlt.

Kleinkind 2: Ich weiß, was du meinst! Ich habe genau das gleiche Problem. Und meine Mama mischt sich auch in ALLES ein! Zum Beispiel habe ich ein Knäckebrot unter dem Sofa versteckt, damit ich für später noch einen kleinen Snack habe, und sie schmeißt es einfach in den Mülleimer! Wer macht denn bitteschön so etwas?

Kleinkind 2: Das findest du schon schlimm? Dann hör mir mal zu. Ich kümmere mich um mich selbst, hänge einfach ein bisschen mit meinen Spielsachen ab und sie zieht mich einfach hoch, trägt mich weg und setzt mich in den Hochstuhl, ohne jede Vorwarnung. Und ich habe nicht mal Hunger! Dann regt sie sich tierisch auf, nur, weil ich ein paar Versuche mit dem Essen mache. Übrigens, es ist doch echt spannend dass es manchmal direkt runterfällt und manchmal gegen die Wand klatscht. Ich vermute, es hat etwas mit der Konsistenz des Essens und mit der Flugbahn, in der ich es werfe, zu tun. Also, das ist bisher meine Arbeitshypothese.

Kleinkind 1: Cool! Lass es mich wissen, wenn du mehr darüber herausfindest! Aber hör mal zu. Ich schaffe überhaupt nichts! Kein Scherz, ehrlich! Ich habe den ganzen Morgen lang dafür gebraucht, um diesen hervorragenden Turm zu bauen. Kumpel, den hättest du sehen müssen! Er war sagenhaft! Jedenfalls, ich laufe für eine Sekunde oder so weg und sie kippt das ganze Ding in die Spielzeugkiste! Die Arbeit eines ganzen Vormittags – weg. Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt solche Mühe gebe.

Kleinkind: Sehe ich ganz genauso! Und was soll dieses neue „Time-Out“-Zeug, was meine Mama plötzlich total toll findet? Ich rege mich ein ganz klein bisschen auf über irgend etwas und genau dann, wenn ich ein bisschen Kuscheln und Zuwendung brauche, setzt sie mich in diesen Stuhl und nimmt mich nicht mehr heraus. Als könnte dieser Stuhl mich in den Arm nehmen? Ganz ehrlich?

Kleinkind 1: Das ist sowas von falsch. Hey, was ist eigentlich mit dieser ganzen Töpfchen-Training-Angelegenheit? Sie will, dass ich mein Geschäft in eine Plastikschüssel mache. Aus diesen Dingern essen wir! Echt, man muss sich manchmal wirklich fragen, was in deren Köpfen vor sich geht.“

Kleinkind 2: Sei froh. Meine setzt mich immer wieder auf diese große weiße Vorrichtung, wo Wasser drin ist. Ich meine, ich könnte ertrinken! Und du solltest mal sehen, was passiert, wenn sie diesen Knopf oben drückt. Ich sag' nur: „Strudel des Todes“!

Kleinkind 1: Nicht cool, Kumpel, überhaupt nicht cool! Hast du auch schon mit Wutanfällen zu tun? Meine Mama hat eine Laune, das kannst du dir nicht vorstellen! Sobald sie mal ihren Willen nicht bekommt, bring' dich in Sicherheit! Sie kreischt herum und fuchtelt mit ihren Armen und stampft herum und, ich sage es echt ungern, aber sie hat angefangen, zu schlagen. Als wenn das irgendetwas besser machen würde. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit diesen Aggressionsproblemen umgehen soll! Warum können die Erwachsenen nicht einfach so vernünftig sein wie wir?

Kleinkind 2: Ich vermute, es ist ein Kommunikationsproblem. Ich meine, sie fangen gerade ein ganz bisschen an, uns zu verstehen, wenn wir mit ihnen sprechen, deshalb versuche ich, etwas nachsichtig zu sein, wenn sie frustriert ist. Ich bleibe einfach nahe bei ihr, vielleicht klopfe ich ein wenig ihren Arm oder biete ihr ein Spielzeug an. Manchmal beruhigt sie sich dann ein bisschen und lächelt wieder, aber manchmal braucht sie auch noch etwas Zeit. Ich bleibe trotzdem präsent, damit sie weiß, dass ich immer für sie da bin.

Kleinkind 1: Ich fürchte, das vermasselst du, Kumpel. Du musst weggehen, geh' einfach weg und lass sie machen. Wenn du sie tröstet, wird sie erwarten, dass du ihr hilfst, ihre Emotionen zu regulieren und sie wird immer abhängiger von dir, glaube mir! Wenn sie ausflippt, musst du sie dazu zwingen, sie selbst zu kontrollieren.! Wenn sie bereit ist, vernünftig zuzuhören, dann könnt ihr wieder Freunde sein.

Kleinkind 2: Ich weiß nicht. Meine will einfach nicht zuhören. Ich kann dir nicht sagen, wie oft ich sie gebeten habe, mit mir zu spielen bis sie endlich mal von ihrem eigenen Spielzeug aufschaut. Wie ist das überhaupt mit Eltern und Medien? Und dann sagt sie nur: „Einen Moment noch, Schatz.“ Was genau ist eigentlich ein Moment?

Kleinkind 1: „Einen Moment noch!“, bedeutet: „Das hier ist wichtiger als du!“, Kumpel. Komm, sieh' es ein. Du musst dafür sorgen, dass sie dir Aufmerksamkeit schenkt! Schrei los. Wirf etwas weg. Beiß die Katze. Was auch immer nötig ist! Lass sie nicht damit durchkommen, dich so respektlos zu behandeln – sonst wird sie dich nie beachten!

Kleinkind 2: Einverstanden. Übrigens, wie gehst du mit Schlafproblemen um? Ich schaffe einfach nicht noch eine schlaflose Nacht! Sie hält mich stundenlang wach – jede, aber auch wirklich jede Nacht. Es fängt super an, Badezeit, Buch lesen und Kuscheln, aber dann haut sie einfach ab, als wäre ich irgendeine Art Spielzeug, dass man ausschalten kann, wenn es dunkel ist. Und Mann, es ist echt dunkel! Ich weiß nicht, was genau da in meinem Schrank wohnt, aber es ist gigantisch!

Kleinkind 1: Schlaftraining, Kumpel. Das ist die einzige Lösung. Wenn sie das Licht ausmachen und die Tür schließen, folgst du ihnen. Aber wirklich jedes Mal. Oder, wenn du zu viel Angst hast (kann ich voll verstehen), fang' einfach an zu schreien und hör' nicht mehr auf. Wenn du nicht schlafen kannst, sorge dafür, dass sie es auch nicht können! Und gib' nicht auf. Nicht ein einziges Mal. Wenn du sie einmal damit durchkommen lässt, bekommst du nie wieder Schlaf! Sie müssen lernen, dass es ihre Pflicht ist, sich tagsüber und nachts um dich zu kümmern – auch, wenn du nur eine umarmung braucht!

Kleinkind 2: Verstanden. Okay, da kommt sie. Ehrlich, hast du dieses Problem auch? Wir sind im Park. Alle haben Spaß. Und dann steht sie einfach ab und entscheidet, zu gehen. Ich glaube, sie hat irgendwelche sozialen Probleme. Ich denke darüber nach, sie testen zu lassen.

Kleinkind 1: Bei mir ist es genauso! Sie müssen lernen, dass es nicht immer nur um sie geht und es ist unsere Aufgabe, ihnen das beizubringen. Schau, da kommt meine auch schon. Sieh zu und lerne, Kumpel. Ich nutze heute die gekrümmte, wild um sich schlagende, wehklagende Variante. Tief einatmen und dann: „Nein! Nein! Neeeeiiin ...“

(Knost: The Gentle Parent, S. 22 f. Eigene Übersetzung)