Mir hilft der Gedanke daran, dass ihr Gehirn noch in der Entwicklung ist und besonders die obere Gehirnhälfte, die für Vernunft zuständig ist, noch recht schwach und störanfällig ist, während das untere Gehirn, das von Gefühlen gesteuert wird, noch viel stärker ist.
Spannend finde ich aber auch, wie anders Kleinkinder ticken. Wo wir Erwachsenen immer hektisch sind, haben sie alle Zeit der Welt. Wo wir einen Stau sehen, staunen sie begeistert über die vielen Autos. Wo wir zwischen Arbeit und spiel unterscheiden und Arbeit natürlich immer wichtiger ist, ist für Kleinkinder die ganze Welt ein Spiel.
Und vermutlich erscheint unseren kleinen Wutknilchen das Verhalten von uns "vernünftigen" Erwachsenen manchmal auch ziemlich unsinnig ...
L.R. Knost verdeutlich hat das auf sehr amüsante Weise in einem fiktiven Dialog zwischen zwei Kleinkindern. Leider liegt das Buch nur auf Englisch vor, aber weil er mich so begeistert hat und auch in meinem neuen Buch eine Rolle spielen soll, habe ich ihn mal übersetzt:
Kleinkind 1: Du
siehst ein bisschen aufgebracht aus, Kumpel. Hattest du einen harten
Tag?
Kleinkind 2: Hart
ist viel zu harmlos! Ich liebe meine Mami wahnsinnig doll, aber
ehrlich, Sie hat KEINE Ahnung, wie man teilt. Ich habe eine
Kleinigkeit aus ihrem Portmonnaie genommen und sie ist ausgerastet!
Nahm es mir weg und rief: „Mein“ und das alles. Und das auch noch
mitten im Geschäft! So was von peinlich. Jeder starrte mich an und
rollte mit den Augen. Ich habe mich echt wie ein totaler Vollidiot
gefühlt.
Kleinkind 2: Ich
weiß, was du meinst! Ich habe genau das gleiche Problem. Und meine
Mama mischt sich auch in ALLES ein! Zum Beispiel habe ich ein
Knäckebrot unter dem Sofa versteckt, damit ich für später noch
einen kleinen Snack habe, und sie schmeißt es einfach in den
Mülleimer! Wer macht denn bitteschön so etwas?
Kleinkind 2: Das
findest du schon schlimm? Dann hör mir mal zu. Ich kümmere mich um
mich selbst, hänge einfach ein bisschen mit meinen Spielsachen ab
und sie zieht mich einfach hoch, trägt mich weg und setzt mich in
den Hochstuhl, ohne jede Vorwarnung. Und ich habe nicht mal Hunger!
Dann regt sie sich tierisch auf, nur, weil ich ein paar Versuche mit
dem Essen mache. Übrigens, es ist doch echt spannend dass es
manchmal direkt runterfällt und manchmal gegen die Wand klatscht.
Ich vermute, es hat etwas mit der Konsistenz des Essens und mit der
Flugbahn, in der ich es werfe, zu tun. Also, das ist bisher meine
Arbeitshypothese.
Kleinkind 1: Cool!
Lass es mich wissen, wenn du mehr darüber herausfindest! Aber hör
mal zu. Ich schaffe überhaupt nichts! Kein Scherz, ehrlich! Ich habe
den ganzen Morgen lang dafür gebraucht, um diesen hervorragenden
Turm zu bauen. Kumpel, den hättest du sehen müssen! Er war
sagenhaft! Jedenfalls, ich laufe für eine Sekunde oder so weg und
sie kippt das ganze Ding in die Spielzeugkiste! Die Arbeit eines
ganzen Vormittags – weg. Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt
solche Mühe gebe.
Kleinkind: Sehe ich
ganz genauso! Und was soll dieses neue „Time-Out“-Zeug, was meine
Mama plötzlich total toll findet? Ich rege mich ein ganz klein
bisschen auf über irgend etwas und genau dann, wenn ich ein bisschen
Kuscheln und Zuwendung brauche, setzt sie mich in diesen Stuhl und
nimmt mich nicht mehr heraus. Als könnte dieser Stuhl mich in den
Arm nehmen? Ganz ehrlich?
Kleinkind 1: Das ist
sowas von falsch. Hey, was ist eigentlich mit dieser ganzen
Töpfchen-Training-Angelegenheit? Sie will, dass ich mein Geschäft
in eine Plastikschüssel mache. Aus diesen Dingern essen wir! Echt,
man muss sich manchmal wirklich fragen, was in deren Köpfen vor sich
geht.“
Kleinkind 2: Sei
froh. Meine setzt mich immer wieder auf diese große weiße
Vorrichtung, wo Wasser drin ist. Ich meine, ich könnte ertrinken!
Und du solltest mal sehen, was passiert, wenn sie diesen Knopf oben
drückt. Ich sag' nur: „Strudel des Todes“!
Kleinkind 1: Nicht
cool, Kumpel, überhaupt nicht cool! Hast du auch schon mit
Wutanfällen zu tun? Meine Mama hat eine Laune, das kannst du dir
nicht vorstellen! Sobald sie mal ihren Willen nicht bekommt, bring'
dich in Sicherheit! Sie kreischt herum und fuchtelt mit ihren Armen
und stampft herum und, ich sage es echt ungern, aber sie hat
angefangen, zu schlagen. Als wenn das irgendetwas besser machen
würde. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit diesen
Aggressionsproblemen umgehen soll! Warum können die Erwachsenen
nicht einfach so vernünftig sein wie wir?
Kleinkind 2: Ich
vermute, es ist ein Kommunikationsproblem. Ich meine, sie fangen
gerade ein ganz bisschen an, uns zu verstehen, wenn wir mit ihnen
sprechen, deshalb versuche ich, etwas nachsichtig zu sein, wenn sie
frustriert ist. Ich bleibe einfach nahe bei ihr, vielleicht klopfe
ich ein wenig ihren Arm oder biete ihr ein Spielzeug an. Manchmal
beruhigt sie sich dann ein bisschen und lächelt wieder, aber
manchmal braucht sie auch noch etwas Zeit. Ich bleibe trotzdem
präsent, damit sie weiß, dass ich immer für sie da bin.
Kleinkind 1: Ich
fürchte, das vermasselst du, Kumpel. Du musst weggehen, geh' einfach
weg und lass sie machen. Wenn du sie tröstet, wird sie erwarten,
dass du ihr hilfst, ihre Emotionen zu regulieren und sie wird immer
abhängiger von dir, glaube mir! Wenn sie ausflippt, musst du sie
dazu zwingen, sie selbst zu kontrollieren.! Wenn sie bereit ist,
vernünftig zuzuhören, dann könnt ihr wieder Freunde sein.
Kleinkind 2: Ich
weiß nicht. Meine will einfach nicht zuhören. Ich kann dir nicht
sagen, wie oft ich sie gebeten habe, mit mir zu spielen bis sie
endlich mal von ihrem eigenen Spielzeug aufschaut. Wie ist das
überhaupt mit Eltern und Medien? Und dann sagt sie nur: „Einen
Moment noch, Schatz.“ Was genau ist eigentlich ein Moment?
Kleinkind 1: „Einen
Moment noch!“, bedeutet: „Das hier ist wichtiger als du!“,
Kumpel. Komm, sieh' es ein. Du musst dafür sorgen, dass sie dir
Aufmerksamkeit schenkt! Schrei los. Wirf etwas weg. Beiß die Katze.
Was auch immer nötig ist! Lass sie nicht damit durchkommen, dich so
respektlos zu behandeln – sonst wird sie dich nie beachten!
Kleinkind 2:
Einverstanden. Übrigens, wie gehst du mit Schlafproblemen um? Ich
schaffe einfach nicht noch eine schlaflose Nacht! Sie hält mich
stundenlang wach – jede, aber auch wirklich jede Nacht. Es fängt
super an, Badezeit, Buch lesen und Kuscheln, aber dann haut sie
einfach ab, als wäre ich irgendeine Art Spielzeug, dass man
ausschalten kann, wenn es dunkel ist. Und Mann, es ist echt dunkel!
Ich weiß nicht, was genau da in meinem Schrank wohnt, aber es ist
gigantisch!
Kleinkind 1:
Schlaftraining, Kumpel. Das ist die einzige Lösung. Wenn sie das
Licht ausmachen und die Tür schließen, folgst du ihnen. Aber
wirklich jedes Mal. Oder, wenn du zu viel Angst hast (kann ich voll
verstehen), fang' einfach an zu schreien und hör' nicht mehr auf.
Wenn du nicht schlafen kannst, sorge dafür, dass sie es auch nicht
können! Und gib' nicht auf. Nicht ein einziges Mal. Wenn du sie
einmal damit durchkommen lässt, bekommst du nie wieder Schlaf! Sie
müssen lernen, dass es ihre Pflicht ist, sich tagsüber und nachts
um dich zu kümmern – auch, wenn du nur eine umarmung braucht!
Kleinkind 2:
Verstanden. Okay, da kommt sie. Ehrlich, hast du dieses Problem auch?
Wir sind im Park. Alle haben Spaß. Und dann steht sie einfach ab und
entscheidet, zu gehen. Ich glaube, sie hat irgendwelche sozialen
Probleme. Ich denke darüber nach, sie testen zu lassen.
Kleinkind 1: Bei mir
ist es genauso! Sie müssen lernen, dass es nicht immer nur um sie
geht und es ist unsere Aufgabe, ihnen das beizubringen. Schau, da
kommt meine auch schon. Sieh zu und lerne, Kumpel. Ich nutze heute
die gekrümmte, wild um sich schlagende, wehklagende Variante. Tief
einatmen und dann: „Nein! Nein! Neeeeiiin ...“
(Knost: The Gentle Parent, S. 22 f. Eigene Übersetzung)
(Knost: The Gentle Parent, S. 22 f. Eigene Übersetzung)