Dienstag, 24. November 2015

Sanfte Eingewöhnung - warum sie so wichtig ist

Das Berliner Eingewöhnungsmodell ist inzwischen sehr verbreitet und wird oft als "sanft" propagiert. Bedenkt man, wie viele neue Eindrücke auf Kleinkinder, die neu in die Krippe kommen, einprasseln, halte ich die Vorgaben des Modells aber eher für absolute Mindestempfehlungen:
Drei Tage sind die Eltern nach dem Berliner Modell dabei, dann erfolgt die erste Trennung von den Eltern. Reagiert das Kind darauf sehr negativ, wird die Eingewöhnungszeit verlängert - das Problem ist aber, das für das Kind dann bereits eine sehr negative Erfahrung mit der neuen Situation entstanden ist.
Warum ist es so wichtig, die Eingewöhnung ganz behutsam zu gestalten? 
Dazu gibt es deutliche, sowohl ältere als auch aktuelle Forschungsergebnisse:
Kinder, die nicht behutsam unter Begleitung eines Elternteils eingewöhnt wurden
... hatten viermal häufigere Fehlzeiten wegen Erkrankungen
... zeigten deutliche Verzögerung in ihrer kognitiven Entwicklung nach 6 Monaten
... wiesen deutlich häufiger Verhaltensprobleme und eine beeinträchtigte Bindung zur Mutter auf
(Laewen 1989)
Auch Beller verglich 2002 behutsam und aprupt eingewöhnte Kinder:
In den ersten 18 Tagen beobachtete er mehr Ausdruck von Stress und weniger positive Gefühle bei den behutsam eingewöhnten Kindern  - also doch besser kurz und schmerzlos?
Nein, der erste Eindruck täuscht: Drei Monate nach Beginn der Eingewöhnung zeigten die behutsam eingewöhnten Kinder mehr positive soziale Interaktionen, Heiterkeit, Selbstständigkeit, Kooperation und weniger Angst, Aggression und Unzufriedenheiten als die schnell eingewöhnten Kinder.
Die Forscher deuten dieses überraschenden Ergebnisse so: Die Kinder, die bei der Eingewöhnung von ihren Eltern begleitet wurden, konnten den Stress durch die veränderte Lebenssituation aktiv verarbeiten. Die Kinder, die direkt abgegeben wurden, fühlten sich ohne ihre Eltern gehemmt und mussten so ihren Stress verdrängen. Äußerlich wirkten sie deshalb erstmal entspannter, doch der aufgestaute Stress führte nach ein paar Monaten zu vielen Problemen. Das passt auch zu den häufigeren Fehlzeiten, denn Stress schwächt das Immunsystem.
Es gibt Kinder, die ihre Trennungsängste wenig zeigen und sich scheinbar problemlos von ihren Eltern trennen. Die Wiener Krippenstudie hat aber 2007 belegt, dass diese Kinder dennoch mindestens genauso lange eingewöhnt werden sollten, wie Kinder, die mehr Trennungsängste zeigen. Denn bei den "pflegeleichten" Kindern zeigten sich die Trennungsängste nur verzögert. Wurden sie sehr schnell eingewöhnt, zeigten sie oft nach einiger Zeit negative Verhaltensauffälligkeiten und Zeichen von Unwohlsein.
In meinem nächsten Beitrag stelle ich das Münchner Modell vor, welches eine längere Begleitung durch die Eltern als das Berliner Modell vorsieht.