Samstag, 28. Oktober 2017

"Hör einfach auf dein Bauchgefühl!?" Die Rolle von Intuition im Umgang mit Kindern.

Die Sache mit dem Bauchgefühl – Erziehung und Intuition

Neulich nahm ich an einem Seminar zu Entwicklungspsychologie teil und der Dozent meinte, er würde allen Eltern von Erziehungsratgebern abraten. Das würde nur unnötig verwirren - am besten sollte man einfach auf seine Intuition hören. Hört sich vielleicht cool an, ist aber meines Erachtens alles andere als klug!
Sicherlich gibt es Situationen, in denen unser Bauchgefühl eine große Rolle spielt. Zum Beispiel, wenn man sich gegen eine Kita entscheidet, die einen tollen Ruf hat, weil man einfach kein gutes Gefühl dabei hat. Oder, wenn man früher nach Hause fährt, weil man das Gefühl hat, dass zuhause etwas nicht stimmt. Die Erfahrung zeigt, dass es sinnvoll ist, diesen elterlichen „siebten Sinn“ ernst zu nehmen.
Es gibt außerdem ein sogenanntes „intuitives Elternprogramm“ - bestimmte Verhaltensweisen, die wir in der Regel automatisch an den Tag legen, weil wir spüren, dass sie unserem Kind gut tun. So entspricht der Abstand, den die meisten Eltern intuitiv zum Gesicht ihres Säuglings einnehmen, wenn sie ihn ansehen – ca. 40-50 cm – genau der Entfernung, in der die Kleinen gut sehen können. Auch die hohe Stimme und das langsame Sprechtempo, mit dem Erwachsene mit Babys reden, ist genau auf die Kommunikationsbedürfnisse von Säuglingen angepasst.

Das bedeutet jedoch nicht, dass unser Bauchgefühl in allen Erziehungsfragen ausreichend ist. Für die meisten Entscheidungen sind Informationen (zum Beispiel über kindliche Entwicklung) und Selbststreflexion (über eigene Prägungen und „automatische“ Verhaltensweisen, zu denen man neigt) eine wichtige Ergänzung zur Intuition.
Ein Beispiel: Paul, drei Jahre alt, wird seit einer Woche im Kindergarten eingewöhnt. Heute Morgen ist aber die Erzieherin Anke, die sich bisher immer um ihn gekümmert hat, krank und eine noch fast unbekannte Erzieherin stellt sich Paul vor. Der fängt an zu weinen und jammert: „Ich will nach Hause, Mama!“ Nun bleibt Steffi, Pauls Mama, nicht viel Zeit, um gründlich„Pro“ und Contra“ abzuwägen. Hilfreich sind aber ein paar Informationen über kindliches Beziehungsverhalten – dass gerade kleine Kinder Zeit brauchen, um Vertrauen aufzubauen und, dass es wichtig ist, ihnen diese Zeit auch zu geben. Wenn Steffi von ihren Eltern sehr „hart“ erzogen wurde und keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse genommen wurde, ist Steffi das möglicherweise nicht intuitiv klar. Sie hat gelernt: „Was uns nicht umbringt, macht uns nur noch härter!“ oder denkt sogar: „Paul will mich doch nur erpressen - das ist ein Machtspiel, auf das ich mich nicht einlassen darf!“ Ihr Bauchgefühl sagt ihr also womöglich: „Lass' ihn damit nicht durchkommen!“ Wenn Steffi aber in einem Elternkurs oder Erziehungsbuch ein paar Fakten über kindliche Bedürfnisse erfahren hat, kann sie Pauls Tränen viel besser verstehen. Trotzdem braucht sie in dieser Situation auch viel Intuition – kann sie ihrem Paul den „Sprung in's kalte Wasser“ nach ein paar ermutigenden Worten zumuten oder ist es besser, zu warten, bis Anke wieder da ist?

Ein anderes Beispiel ist die Frage, wie oft man ein Baby füttert. Einige Babys weinen bei Hunger erkennbar anders als bei Müdigkeit oder Langeweile. Andere Babys senden aber nicht so eindeutige Signale. Die meisten Eltern hören dann meist keine intuitive innere Stimme, die ihnen sagt: "Das Baby sollte schon wieder essen!" oder "Nein, es ist nur müde!"  Dann ist es hilfreich, sich ein paar professionelle Informationen einzuholen, zum Beispiel von der Hebamme, aber auch durch Bücher wie "Das Stillbuch" von Hannah Lothrop oder durch seriöse Artikel im Internet. Dann wird man unterschiedliche Sichtweisen und vielerlei Informationen bekommen, und das Bauchgefühl kann dann helfen, zu entscheiden, welche davon zur eigenen Situation gerade am besten passen.

Das Problem mit dem Bauchgefühl ist, dass es oft von kulturellen oder familiären Prägungen überdeckt ist. Die Art, wie wir aufgewachsen sind, beeinflusst stark, wie wir intuitiv mit unseren Kinder umgehen.
Hinzu kommt, dass unser Bauchgefühl oft von eigenen Stimmungen und Gefühlen bestimmt wird. Im letzten Sommer fuhren mein Mann und ich mit unseren Kindern an den Strand. Während wir die Sachen aus dem Auto packten, wartete unser sechsjähriger Sohn mit unserer zweijährigen Tochter neben uns. Sie liefen ein paar Schritte – und plötzlich stand unsere Tochter in einem Graben, ihre Kleidung vollkommen matschig und nass! Offensichtlich hatte unser Sohn sie in den Graben gesetzt. Wir wurden sehr wütend und schimpften ziemlich laut und böse mit ihm. Unser Bauchgefühl sagte uns ganz klar: „Der Junge hat etwas richtig Dummes gemacht! Wegen ihm muss jetzt einer von uns zur Ferienwohnung fahren und neue Klamotten holen! Er muss spüren, wie falsch das war!“ Unser Sohn war so erschrocken, dass er uns erst etwas später erklären konnte, was passiert war: Seine Schwester hatte auf dem Campingplatz hinter dem Graben einen Hund gesehen, den sie gern streicheln wolle. Deshalb hatte er versucht, sie über den Graben zu tragen. Leider war sie zu schwer für ihn, sodass er es nicht geschafft hatte … als wir das hörten, tat es uns ziemlich leid, dass wir einfach auf unser Bauchgefühl gehört hatten, statt zunächst die Fakten zu sammeln.

Unser Bauchgefühl ist also alles andere als neutral und zuverlässig. Deshalb haben Erziehungsratgeber, Elternkurse, Beratungsstellen und die Tipps von Freundinnen durchaus ihre Berechtigung. Das bedeutet nicht, dass wir alle Tipps 1:1 übernehmen sollten. Sie sind aber wertvoll als Impulse, die uns helfen, uns gut zu informieren, gründlich abzuwägen und unser Verhalten zu reflektieren. Nur wenn wir die wichtigsten Informationen haben, können wir wirklich vernünftig entscheiden, was sich gerade richtig anfühlt. Wenn wir dann alle Fakten bedacht haben, unsere eigenen Einstellungen und Vorurteile hinterfragt haben und immer noch nicht klar sehen, was richtig ist oder ganz verwirrt sind, weil wir zu viele unterschiedliche Tipps bekommen haben– dann ist die Intuition oft eine gute Hilfe: Nun habe ich die wichtigsten Infos und Ideen gesammelt – was von all dem fühlt sich jetzt gerade passend und richtig an?


Mittwoch, 20. September 2017

Tayo, der Wolf, wird gebraucht . Eine therapeutische Geschichte zum Thema "Selbstwert".

Tayo, der Wolf, wird gebraucht
Es war einmal ein Wolf namens Tayo. Er hatte fünf Geschwister: Drei Brüder namens Isegrimm, Ayko und Wolfram und zwei Schwestern namens Luna und Waya. Die meisten seiner Geschwister konnten irgendetwas besonders gut: Isegrimm war ein starker Kämpfer, Ayko und Wolfram waren sehr schnell und Luna hatte die schönste Stimme des ganzen Wolfsrudels. Waya war noch zu jung, um irgendetwas besonders gut zu können, aber alle fanden sie niedlich und entzückend.
Nur Tayo bekam fast nie Lob. Im Gegenteil, er wurde oft ausgelacht: Wenn jemand in einen Matschhaufen trat, dann Tayo. Und beim Raufen mit den anderen Wölfen gewann Tayo nur selten. Er konnte irgendwie nichts so richtig gut: Er war nicht besonders schnell, nicht besonders stark und er konnte überhaupt nicht gut heulen. Seine Geschwister heulten immer laut und kräftig mit, wenn der Mond schien, aber seine Stimme klang krächzend und nicht besonders schön. Deshalb heulte Tayo niemals. Er schämte sich zu sehr. Er wünschte sich so, dass sein Wolfsvater Lupo auch einmal zu ihm sagen würde: „Ich bin stolz auf dich.“ Doch das sagte er immer nur zu seinen Geschwistern. Seine Mutter hatte auch wenig Zeit für ihn, weil die kleine Waya noch so jung war und viel Pflege brauchte. Deshalb fühlte sich Tayo oft allein. Manchmal kam es ihm so vor, als wäre er niemandem wichtig.
Eines Tages traf er eine traurige Entscheidung: Er würde den Wald verlassen. Er war sich sicher, dass er hier nicht gebraucht wurde. So schlich er sich, mitten in der Nacht, bei Mondschein, heimlich fort. Als er noch einen letzten Blick auf seine schlafende Mutter warf, rollte eine Träne seine Schnauze herunter.
Er war schon einige hundert Meter gelaufen, da hörte er auf einmal seinen Namen. Erstaunt blickte er sich um. Oben auf dem Ast saß die kluge Eule Juri: „Wohin möchtest du, mein Freund?“, fragte Juri. Tayo zuckte unsicher mit den Schultern: „Einfach weg. Mich will hier eh keiner haben.“ Erstaunt blicke Juri ihn an: „Wie kommst du denn darauf?“ Tayo sah zu Boden: „Ich bin keinem wichtig. Meine Eltern haben keine Zeit für mich und sie finden meine Geschwister viel toller. Ich habe hier keinen Platz.“
Juri flatterte vom Baum herab und setzte sich neben Tayo. Überrascht stellte Tayo fest, dass Tränen in Juris Augen standen. „Warum weinst du?“, wollte er wissen. Da kullerten die Tränen nur so Juris Federkleid herunter und die Eule schniefte: „Weil du hier fehlen wirst. Weil es einen Platz für dich gibt, der dann leer wäre. Weil es wichtige Aufgaben gibt, die auf dich warten.“ Tayo legte den Kopf schief: „Wie meinst du denn das?“ Die Eule wischte sich mit dem Flügel eine Träne vom Auge: „Lieber Tayo, jedes Lebewesen hat einen Platz auf der Erde. Auf der ganzen weiten Welt gibt es niemanden wie dich. So viele Lebewesen gibt es auf der Welt – aber deine Augen gibt es nur dieses eine Mal! Jeder Wolf, jede Eule, jeder Menschen ist einmalig und wertvoll, so, wie er ist!“ „Aber ich kann doch gar nichts Besonderes!“, protestierte Tayo. „Vielleicht siehst du es noch nicht“, antwortete die Eule, „Aber in jedem Einzelnen steckt etwas. Jeder hat eine Stärke und für jeden gibt es eine Aufgabe in diese Welt. In dir schlummern Fähigkeiten, mit denen du andere unterstützen kannst. Und andere wiederum können dir helfen. So können wir alle zusammen diese Welt zum Guten zu verändern.“
Dass ich wertvoll bin, höre ich zum ersten Mal.“, murmelte Tayo leise und begann, zu weinen. Die Eule legte einen Flügel um Tayo und drückte ihn fest an sich: „Komm mal mit.“ Sie lief mit ihm zum kleinen Bach und auf einmal sah Tayo auf der Wasseroberfläche ein Bild von einem alten Wolf, der ihn freundlich ansah. Es war, als würde das Bild lebendig und der Wolf sprach: „Ich bin deine Urgroßmutter Annabel. Du kennst mich nicht, aber ich bin so stolz auf dich. Gib' nicht auf!“ Tayo schnappte erstaunt nach Luft, doch da erschien schon ein zweites Bild auf dem Wasser: Ein Wesen, das Tayo noch nie gesehen hatte – und doch fühlte es sich an, als wäre es Tayo schon immer unsichtbar nahe gewesen. Es sah mächtig und stark aus und gleichzeitig waren seine Augen voller Liebe. „Ist das etwa der Große Geist?“, fragte Tayo aufgeregt. Juri nickte: „Die Indianer nennen ihn den Großen Geist. Andere reden von Gott, wieder andere von einer guten Macht oder der Liebe. Doch wie auch immer du ihn nennst … dass du geboren wurdest, war seine Idee. Und auch für ihn bist du unbezahlbar wertvoll.“
Du wirst geliebt!“, bekräftigte Juri, „ Es ist schlimm, wenn die Eltern einem diese Liebe nicht zeigen können. Du darfst darüber weinen – weinen tut oft gut. Doch das Versagen deiner Eltern ändert nichts daran, wie wertvoll du bist. Manchmal spüren wir lange Zeit keine Liebe – und doch ist sie da. Wie die Sonne, die sich an Regentagen hinter Wolken versteckt. Immer, wenn ein anderer freundlich zu dir ist, kommt etwas von der Liebe bei dir an!“
Das fällt mir schwer zu glauben.“, gab Tayo zu. Juri nickt: „Du kannst dich entscheiden, es einfach mal zu versuchen. Tu so, als würdest du es glauben! Du musst dich nicht mehr mit anderen vergleichen. Du musst dich nicht mehr ärgern, wenn etwas ungerecht läuft. Denn dass du etwas Besonders bist, steht sowieso schon fest. Versuche, das Gute in anderen zu sehen. Gehe mit offenen Augen durch die Welt und schaue, wo du Gutes tun kannst. Dann wirst auch du Liebe und Freundlichkeit erleben.“
Tayo beschloss, Juri wirklich einmal zu glauben. Zumindest für zwei Wochen wollte er es ausprobieren. Und so ging er zurück zu seiner Familie und immer, wenn er etwas ungerecht fand, ging er zum Bach, sah seine Augen an und sagte sich: „Ich bin wertvoll.“ Und es veränderte sich etwas: Je mehr er das glaubte, desto weniger musste er darum kämpfen, Erster zu sein oder Aufmerksamkeit zu bekommen.
Eines Tages kam ein streunender Hund namens Tassilo zum Wolfsrudel. Die Menschen hatten ihn schlecht behandelt und deshalb wollte er nun im Wald leben. Die Wölfe schickten ihn zwar nicht weg, aber sie waren nicht besonders nett zu ihm. „Das ist doch nur ein Hund!“, sagten sie oft, „Der kann nicht mal heulen.“ Doch Tayo dachte an die Worte der Eule, die gesagt hatte, dass jedes Lebewesen wertvoll war …
An einem Abend war lautes Hund-Gebell zu hören. Die anderen Wölfe meinten: „Ach, der Hund. Der will bestimmt eh nichts Wichtiges.“ Tayo aber erinnerte sich wieder an Juris Worte und beschloss, dem Bellen zu folgen, um zu sehen, ob Tassilo Hilfe brauchte. Als er den Hund erreichte, wirkte dieser sehr aufgebracht: „Wir müssen die anderen Wölfe warnen! Ich habe Jäger beobachtet, die das Wolfsrudel überfallen wollen, weil sie ihr Fell für teure Pelze benutzen wollen! Sie wissen, wo die Wölfe schlafen und sind schon auf dem Weg – mit vielen großen Gewehren! “ Oh nein! Tayos Herz raste. Was sollte er nur tun? Wenn er erst den langen Weg zurück rennen wollte, käme er womöglich zu spät. Ihm blieb nichts anderes übrig als das zu tun, das er sonst nie tat … laut zu heulen! Er schämte sich noch immer für deine krächzende Stimme, aber ihm war klar: Nur so konnte er die anderen Wölfe retten! Also nahm Tayo all seinen Mut zusammen und heulte – krächzend, aber laut und kräftig und so lange er konnte.
Als er endlich Ayko und Wolfram herbeirennen sah und hinter ihnen die anderen, atmete er erleichtert auf. Auch Tassilo freute sich: „Du hast sie gerettet!“ Rasch erzählte Tayo den anderen, warum er sie gerufen hatte. Das ganze Rudel danke Tayo: „Danke, dass du uns gerettet hast, obwohl wir nicht immer nett zu dir waren!“ Isegrimm stupste Tayo freundlich an: „Weißt du, als du mit dem Heulen anfingst, war es recht laut im Wald, weil gerade auch andere Wolfsrudel heulten und einige Waldkauze durch die Gegend riefen. Aber weil deine Stimme so anders klingt, war uns direkt klar: Das ist Tayo und es muss etwas Wichtiges sein! Sonst würdest du nicht so laut heulen! Und so machten wir uns alle auf den Weg – und konnten gut hören, aus welcher Richtung das krächzende Heulen kam.“ Er grinste: „Siehst du, da war deine Schwäche – die krächzende Stimme – eine richtige Stärke!“ Tayo nickte. Von diesem Tag an heulte er jede Nacht mit den anderen Wölfen. Er schämte sich nicht mehr dafür, dass seine Stimme anders war – nein, er war stolz darauf, denn gerade diese Schwäche hatte die Wölfe gerettet! Und als er Juri wiedersah, rief er fröhlich: „Du hattest Recht!“ Die Eule lächelte wissend. Mehr brauchte er nicht zu erklären.

Samstag, 9. September 2017

Liebevoll Grenzen setzen - oder: Muss Strafe sein?

Wenn ich mit anderen Eltern spreche, merke ich immer wieder: Dieses Thema beschäftigt fast alle. Und kein Wunder, denn es betrifft so stark unseren Alltag, so viele Bereiche und Kinder in nahezu allen Altersgruppen! Deshalb habe ich in diesem Artikel wichtige Gedanken, von denen einige bereits in kürzeren Blogs beschrieben wurden, zusammengefasst und um hilfreiche Tipps und Strategien ergänzt.

„Kinder brauchen Grenzen“ titelt ein berühmter Erziehungsratgeber und dieser Haltung würden wohl die meisten Eltern grundsätzlich zustimmen. Doch wie genau können wir als Eltern liebevoll und doch wirksam Grenzen setzen?
Der Volksmund behauptet „Strafe muss sein“  -  Studien haben jedoch erwiesen, dass Strafen meistens nicht dazu führen, dass Kinder sich dauerhaft besser benehmen. Und, dass Kinder, die zuhause oft bestraft werden, sich zwar häufig zuhause besser anpassen, dafür aber außerhalb von zuhause besonders viele Regeln brechen.
Der Psychologe Alfie Kohn nennt in seinem Buch "Liebe und Eigenständigkeit" weitere Nachteile von Strafen, z.B.:

- Bestrafte Kinder fühlen sich gedemütigt, was Wut und Rachegefühle auslöst. Auch die Beziehung zu den Eltern, die mal liebevoll und freundlich sind und dann absichtlich Leid zufügen, wird belastet.

- Je älter unsere Kinder werden, desto mehr Freiräume haben sie, sich unseren Strafen zu entziehen, d.h, Strafen verlieren mit der Zeit ihre Macht. Wenn der Einfluss der Eltern dann nur auf Strafen beruht, haben sie ein Problem. Eine wichtige Frage, die Eltern sich stellen sollten:  Möchte ich, dass meine Kinder mit einem Verhalten aufhören, weil sie Angst vor der Strafe haben? Oder möchte ich, dass ihnen meine Meinung wichtig ist und es sie wirklich interessiert, warum ich etwas falsch finde – weil sie mich respektieren und ihnen meine Zustimmung etwas bedeutet? Ich kann den Fokus nur in eine Richtung lenken!

- Strafen bewirken in der Regel nicht, dass ein Kind wirklich einsieht, dass sein Verhalten falsch war. Meist führen sie nur zu Wut auf die Eltern und dazu, dass das Kind das bestrafte Verhalten in Zukunft besser verheimlicht. Es hat dann nicht gelernt, dass sein Verhalten falsch war, sondern, dass es sein Verhalten besser vor den Eltern verstecken muss.

- Strafen schwächen das moralische Verhalten von Kindern: Wir meinen oft, wir müssten strafen, damit Kinder sozialer handeln. Doch das Gegenteil ist der Fall: Je mehr wird strafen, desto mehr konzentrieren sich die Kinder auf die Folgen, die ihr Verhalten auf sie selbst hat: Welche Strafe riskiere ich, wenn ich zuschlage?  Sie wägen also zunehmend den eigenen Nutzen bzw. Schaden ab, statt zu verstehen, warum ihr Verhalten falsch ist. Strafen lenken also eher ab.

- Strafen vermitteln die Lektion: Es ist okay, anderen Leid zuzufügen, um sich durchzusetzen. Das ist die Botschaft, die Kinder lernen, wenn sie oft bestraft werden. Denn Eltern sind die wichtigsten Vorbilder für ihre Kinder. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass Eltern niemals körperliche  Strafen wie Ohrfeigen, Schläge, Klapse, etc. einsetzen sollten. Die  Forschung zeigt deutlich, dass Kinder, die körperliche Gewalt  von ihren Eltern erfahren, selbst aggressiv werden und oft psychische  Probleme entwickeln.
Auch Schreien ist übrigens eine Form nicht-körperlicher Aggression, die Kinder stresst und ihnen schadet. Wenn Eltern viel schreien, herrscht ein aggressives Familienklima, das Kinder oft auch durch körperliche Gewalt umsetzen. Ein sehr hilfreiches Buch: „Erziehen ohne auszurasten“ von Sheila McCraith.

Um besser zu verstehen, warum Kinder sich so oft „daneben“ benehmen, hilft ein kurzer Blick auf die Gehirnentwicklung: Die untere Gehirnhälfte ist für  Emotionen und instinktives Verhalten zuständig, während die obere Gehirnhälfte planvolles, moralisches, „vernünftiges“ Verhalten steuert. Während das untere Gehirn bereits bei der Geburt weit entwickelt ist, ist das obere Gehirn erst mit ca. Mitte 20 vollständig ausgeprägt.
Das bedeutet: Vernünftiges und moralisches Handeln und die Kontrolle und Regulierung eigener Gefühle ist für Kinder und Jugendliche deutlich schwieriger als für uns. Die Gehirnhälfte, die dafür zuständig ist, ist einfach noch längst nicht voll funktionstüchtig und die emotionale Gehirnhälfte übernimmt oft die Oberhand.

Dies erklärt zum Beispiel Trotzanfälle, kindlichen Egoismus, „unvernünftiges“ Verhalten im Teenageralter usw. Das bedeutet nicht, dass wir unangemessenes Verhalten einfach hinnehmen. Aber es hilft uns, zu verstehen, warum es Kindern oft so schwer fällt, sich „zu benehmen“.
Daher ist es sinnvoll, Kindern erst einmal auf der emotionalen Ebene zu begegnen: Ruhiges Zureden, eine Umarmung oder ein sanftes Streicheln der Schulter, freundlicher Blickkontakt und einfühlsames Benennen der Gefühle, die gerade spürbar sind: Du bist gerade ziemlich wütend, oder? Du hast dir so viel Mühe gegeben und nun hat es doch nicht geklappt!“ oder „Ich merke, dass du traurig bist.“

Wichtig ist auch, bei Problemverhalten zu überlegen, welches Bedürfnis dahinterstehen könnte. Denn oft zeigen Kinder „schlechtes Benehmen“, wenn sie müde, gestresst oder gelangweilt sind. Oder, wenn die Eltern zu wenig Zeit haben, in der sie sich bewusst nur dem Kind zuwenden. Dabei ist es hilfreich, wenn bei mehreren Kindern auch immer mal jedes Kind einzeln Zeit mit einem Elternteil verbringen kann, um Eifersucht vorzubeugen.
Manchmal sind Konsequenzen unumgänglich – diese sind aber nicht mit Strafen gleichzusetzen. Konsequenzen sind Folgen, die sich automatisch aus einem Fehlverhalten ergeben (natürliche Konsequenzen, z.B. schlechte Noten, wenn das Kind trotz gutem Zureden nicht lernen will) oder zumindest in einem klaren Zusammenhang zum Verhalten stehen. Letztere sind logische Konsequenzen, z.B.:  Wer andere haut, kann nicht mitspielen oder: Wer die Hausaufgaben nicht gemacht hat, kann noch nicht fernsehen – weil diese Regel zuhause grundsätzlich gilt. Konsequenzen werden nicht einfach so aus Wut heraus verteilt, sondern ruhig, eher mitfühlend. Dazu werden mit dem Kind bestimmte Regeln und entsprechende Konsequenzen vorher besprochen und meist ist es auch sinnvoll, eine Verwarnung zu geben.
Wichtig: ist: Wenn zu häufig Konsequenzen genutzt werden, können sie wie Strafen wirken. Eine gute Faustregel, um einzuschätzen, wann Konsequenzen nötig sind: Dann, wenn wichtige Bedürfnisse anderer verletzt werden oder das Kind sich oder andere gefährdet.






Freitag, 14. April 2017

Ostergedanken



Ostern also. Ist das denn nicht alles erfunden, was da in der Bibel berichtet wird? Das wird immer wieder behauptet, doch vieles spricht für die Glaubwürdigkeit der Evangelien. Dass zum Beispiel in einigen Evangelien Frauen als Augenzeugen genannt werden, ist ein besonderer Hinweis darauf, dass die Evangelisten sich an die Wahrheit gehalten haben. Frauen galten nämlich damals nicht als zuverlässige Zeugen. Wenn man sich etwas ausgedacht hätte, hätte man lieber Männer als Zeugen genannt. Auch die Überlieferung der Evangelien ist im Vergleich zu anderen historischen Dokumenten extrem gut.
Dr. Simon Greenleaf, ein berühmter Professor für Jura an der Harvard Universität, untersuchte die Beweise für die Auferstehung Jesu Christi. Greenleafs Schlussfolgerung war: „Nach den Gesetzen der Beweisführung, wie sie vor Gericht angewandt werden, gibt es mehr Beweise für die historische Tatsache der Auferstehung Jesu Christi als für jedes andere Ereignis in der Geschichte." (Josh Mc Dowell, The Resurrection Facor, 1991 /deut. Die Tatsache der Auferstehung, 1993, S.19)
Der Engländer John Singleton Copley war zweiter Kronanwalt der britischen Regierung, Kronanwalt von Großbritannien, dreimal Großkanzler von England und wurde zum Großhofmeister der Universität Cambridge gewählt. Er hatte die höchsten Ämter inne, die jemals ein Richter in Großbritannien auf sich vereinen konnte. Nach seinem Tod fand man in seinen persönlichen Unterlagen eine Begründung dafür, warum er Christ geworden war: „Ich weiß sehr gut, was ein Beweis ist; und ich versichere Ihnen, eine solche Beweisführung wie die für die Auferstehung ist noch niemals zusammengebrochen." Wilbur Smith, Therefore Stand, Grand Rapids, Mich., Baker Book House, 1965, S. 425,584.
Für die Juden hat damals der Opferkult eine große Rolle gespielt - es war wichtig "rein" zu sein, das strenge Gesetz möglichst genau zu erfüllen und, wenn man das nicht schaffte, die eigenen Fehler, also die eigene Schuld, mit Opfern wieder gut zu machen. Das war mit viel Druck und Angst verbunden. Daher war für die Juden die Bedeutung von Jesu Tod als Opfer für alle Sünden eine extrem gute Botschaft - keine ständigen Opfer mehr!
Aber wir brauchen nicht nur Erlösung von Schuld. Was belastet uns Menschen heutzutage noch? Was nimmt uns gefangen? Die Sehnsucht nach Mehr. Traurigkeit. Wut. Langeweile und innere Leere. Die verzweifelte Suche nach einem erfüllten Leben. Die Frage nach dem Sinn. Der Kirchenvater Augustinus sagte: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, oh Gott." Jesus sagt, dass er kam, um uns Leben im Überfluss zu geben. Echtes, erfülles Leben voller Sinn.

Jesus will uns ein neues Leben schenken - ein Leben, das erfüllt ist von seiner Freude, seiner Liebe und seiner Kraft. Diese Kraft ist etwas, das ganz eng mit Karfreitag zu tun hat. Denn wir wissen ja, dass Jesu Tod nicht das Ende war. In der Bibel heißt es:

„Ihr sollt erfahren, mit welch unermesslich großer Kraft Gott in uns, den Glaubenden, wirkt. Ist es doch dieselbe Kraft, mit der er Christus von den Toten auferweckte" (Eph. 1,19-20).
Das heißt: Diese umwerfende Kraft, mit der Gott sogar den Tod besiegte, die möchte er auch uns schenken! Jeder, der dieses Geschenk annimmt, darf nicht nur sicher sein, nach dem Tod bei Gott zu sein, sondern wird schon Hier und Jetzt mit einer ganz neuen Lebensqualität beschenkt. Mit echter Freiheit und einem tiefen inneren Frieden. Jesus hat gezeigt, dass Gottes Kraft stärker ist als der Tod - der Tod hat nicht das letzte Wort. Der Apostel Paulus beschreibt das so: "Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?"
(1. Kor 15,55)
In der Bibel wird uns berichtet, dass nach dem Tod Jesu plötzlich ein Vorhang im Tempel von oben nach unten zerriss. Dieser Vorhang hatte einen besonderen Raum, das Allerheiligste abgetrennt, den nur ein Hohepriester an besonderen Tagen betreten durfte. Dort galt Gott als besonders gegenwärtig. Dieser Vorhang war nun durch den Tod zerrissen. Das heißt: Der Weg zu Gott ist frei.  Zu jeder Zeit und an jedem Ort sind Gottes liebende Arme für jeden offen.

Ostern sagt uns: Die Liebe ist immer stärker als der Tod. Hoffnung besiegt stets die Verzweiflung.

Kleinkinder und Ostern

Kleinen Kindern den Hintergrund von Weihnachten zu erklären, ist recht einfach. Ein Kind, das in einem Stall geboren wird, ein neuer König - das lässt sich auch den Kleinen gut erzählen. Doch wie ist das mit Ostern - mit dem Kreuz, Leiden, Tod und Auferstehung?
Vielleicht gefällt euch ja die folgende Geschichte:

Hannas Nachbarin, die nette Frau Schneider, ist gestorben. Hanna ist sehr traurig, denn sie mochte Frau Schneider und hat sie oft besucht. Es ist so seltsam, dass sie jetzt einfach nicht mehr da ist! Hanna muss weinen, weil sie Frau Schneider so vermisst. Papa nimmt Hanna in den Arm: „Frau Schneider war lange Zeit sehr krank – ihr geht es jetzt besser. Sie hat an Gott geglaubt und ist es jetzt bei ihm. Dort können wir sie eines Tages wiedersehen, wenn wir auch bei Gott sind.“ „Woher wissen wir das?“, fragt Hanna. „Jesus hat es uns versprochen“, erklärt Papa:

Einige Menschen wollten nicht hören, was Jesus über Gott sagte: Dass er alle Menschen liebt und, dass Jesus Gottes Sohn ist. Sie lassen Jesus gefangen nehmen. Und dann wurde Jesus getötet. Er wurde an ein Kreuz gehängt - so wurden früher oft Menschen getötet. Seine Freunde waren sehr, sehr traurig. Doch als Jesus starb, wurde es auf einmal überall ganz dunkel und ein wichtiger Vorhang im Tempel zerriss. Vorher durften nur besondere Leute, nämlich Priester, hinter diesen Vorhang gehen und mit Gott reden. Aber nun war der Weg frei für alle - jeder Mensch darf mit Gott reden, wann immer er möchte.
Ein Hauptmann, der bei Jesus steht, erschrak, als es plötzlich so dunkel wurde. Er spürte, dass etwas Besonderes passiert war und rief: „Dieser Mensch war wirklich Gottes Sohn!“

Drei Tage später wollten Frauen, die Jesus kannten, sein Grab besuchen. Das war eine Steinhöhle, in der der tote Körper hingelegt worden war. Doch das Grab war leer! Die Frauen waren völlig durcheinander: Was war nur passiert? Plötzlich stand ein Engel neben ihnen und sagte: „Habt keine Angst! Jesus ist nicht mehr tot, er ist auferstanden!“
Die Frauen rannten aufgeregt zu ihren Freunden und erzählten, was sie erlebt hatten. Die anderen konnten es kaum glauben: Konnte das wirklich stimmen?
Doch dann war Jesus auf einmal bei ihnen. Wirklich, er lebte! Gott hatte ihn auferweckt. Gott hatte den Tod besiegt! Später ging Jesus dann zurück zu Gott und sagte, dass er dort auf alle, die an ihn glauben, wartet. Dort ist es wunderschön und es gibt nichts Böses mehr, keine Krankheit und keine Schmerzen. Deshalb wissen wir, dass Gott stärker ist als der Tod.“

Hanna nickt. Das ist gut zu wissen. Dann hat sie aber noch eine Frage: „Und warum sammeln wir Ostereier? Was hat das mit der Ostergeschichte zu tun?“ „Die Ostereier sind ein Zeichen“, antwortet Papa, „Wenn die Hühner die Eier ausbrüten, dann kommen Küken aus den Eiern. Daher ist ein Ei ein Zeichen für neues Leben. Die harte Eierschale wird zerbrochen – so, wie Jesus das Grab aus Stein zerbrochen hat. Es gibt dazu einen alten Spruch: "Wie der Vogel aus dem Ei gekrochen, hat Jesus das Grab zerbrochen." Das findet Hanna interessant. „Und der Osterhase? Was hat der damit zu tun?“, will sie noch wissen. „Da gibt es verschiedene Ideen“, entgegnet Papa, „Eine geht so: Der Hase bekommt im Frühling als erstes seine Kinder. Somit ist er ebenfalls ein Zeichen für neues Leben.“ „Oh, Hasenbabys sind so süß!“, ruft Hanna begeistert, „Können wir morgen in den Streichelzoo fahren und schauen, ob die Hasenbabys schon gewachsen sind?“ „Klar!“, lacht Papa, „Und wenn du willst, fahren wir auf dem Weg beim Friedhof vorbei und besuchen das Grab von Frau Schneider.“ „Darf ich an ihr Grab ein Osterei legen?“, fragt Hanna, „Als Zeichen, dass sie nun ein neues Leben hat?“ „Gute Idee!“, findet Papa.

Weitere lebensnahe Bibelgeschichten für Kinder zwischen drei und sechs Jahren findet ihr in meinem Buch „Mara und Timo entdecken die Bibel“ (Oncken): https://www.amazon.de/Mara-Timo-entdecken-die-Bibel/dp/387939623X/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1492163350&sr=1-1&keywords=mara+und+timo+entdecken+die+bibel

Montag, 27. Februar 2017

Diese Woche: Kostenlose Beratung zum Thema "Schreien, Schlafen, Trotzen"

In dieser Woche (bis Freitag, 12:00) bin ich wieder als Expertin bei babycenter.de online. Ihr könnt kostenlos Fragen rund um das Thema "Schreien, Schlafen, Trotzen" stellen und erhaltet innerhalb von 24-48 Stunden eine Antwort. Hier der Link: https://www.babycenter.de/thread/305486/schlafen-schreien-trotzen-experten-chat-mit-melanie-sch%C3%BCer

Donnerstag, 16. Februar 2017

Darf man Kinder anschreien? Und wie schaffe ich es, weniger zu schreien?

Über körperliche Gewalt habe ich ja hier schon geschrieben und vermutlich werden die meisten mir darin zustimmen, dass die in der Kindererziehung überhaupt nichts zu suchen hat. Doch wie ist das eigentlich mit verbaler Gewalt bzw. ganz konkret mit dem Anschreien von Kindern?
Ich persönlich muss zugeben, dass ich in den letzten Monaten recht oft geschrien habe. Das Leben war stressig, vieles lief chaotisch, es mussten schwierige Entscheidungen getroffen werden - und dann auch noch dieser unglaubliche Trotz unserer kleinen Tochter! Sie hatte wirklich Wochen, in denen ich bis um 7:30 Uhr morgen schon fünf bis sechs Wutanfälle gezählt hatte. Und meistens geht es dabei um Dinge, die sie nicht will, die aber einfach nötig sind - zum Beispiel Wickeln, Zähne putzen, Waschen, Anziehen, Anschnallen im Auto ...
Diese Total-Verweigerung dieser notwendigen Aktivitäten durch wildes Strampeln und Wegdrücken (meine Güte, wie stark diese kleinen Menschen sein können!) hat in mir eine ganz große Hilflosigkeit geweckt. Ich wollte meine Kleine nicht mehrmals täglich festhalten und in ihre Jacke zwingen oder irgendwie versuchen, das Kind trotz wütend strampelnder Beine und Arme zu wickeln. Aber ich wollte auch nicht, dass der Po meiner Tochter schon wieder wund wird! Oder, dass wir zu spät kommen. Oder, dass sie Auto fährt, ohne angeschnallt zu sein .. ich versuchte es mit Ankündigungen, damit sie sich drauf einstellen kann, mit ablenkenden Liedern, Geschichten ... aber meist brachte das gar nichts. Und dann wurde aus der Hilflosigkeit Wut: Es kann doch nicht sein, dass diese kleiner Mensch, für den ich ohnehin so viel mache, mich dermaßen tyrannisiert! Das muss ich mir nicht bieten lassen!
Sie festhalten und zu dem, was gerade anlag, zwingen zu müssen, fühlte sich an wie Gewalt - tatsächlich schrie sie oft "Aua!" und es ist ja auch wirklich schmerzhaft, gegen den eigenen Willen festgehalten zu werden. Und dass sie mich in diese Situation brachte, führte dann sehr oft dazu, dass bei mir eine Sicherung durchbrannte und ich sie zornig und fluchend anschrie. Mein Sohn war dann auch oft ganz erschrocken und versuchte, seine Schwester zu überzeugen: "Benimm' dich doch! Dann muss Mama auch nicht so böse sein!" Das machte mich traurig, denn ich möchte nicht, dass meine Kinder mich als "böse" wahrnehmen.
Sicher gibt es Situationen, in denen es nicht ohne Schreien geht. Zum Beispiel, wenn Kinder in Gefahr sind und man schnell ihre Aufmerksamkeit erregen muss. Und manchmal, wenn Kinder sich absolut daneben benehmen, kann es auch authentisch sein, zu schreien. Doch das sollte die Ausnahme und nicht die Regel sein.
Studien weisen darauf hin, dass das häufige Anschreien von Kindern diesen schadet und sogar vergleichbare Auswirkungen haben kann wie körperliche Gewalt (geringerer Selbstwert, depressive Stimmungen, verstärkte Aggressivität, etc.) (http://www.todaysparent.com/family/parenting/yelling-at-kids/). Das zu lesen, machte mir deutlich: Ich will nicht mehr ständig schreien! Auch wenn meine Wut völlig nachvollziehbar ist - ich will lernen, anders damit umzugehen!
Glücklicherweise stieß ich auf Sheila McCraiths Buch "Yess less, love more". Nächste Woche erscheint es auch auf dem deutschen Markt unter dem Titel "Erziehen ohne auszurasten". Es handelt sich um ein alltagstaugliches 30-Tage-Programm, in denen Eltern alltagspraktische Tipps und Strategien kennen lernen, besser mit Wut umzugehen. Das sind körperliche, teils auch etwas verrückte Alternativen wie in die Hände klatschen um "Energie umzulenken" oder in Schränke oder Toiletten zu brüllen (hab ich noch nicht versucht, aber soll hilfreich sein ;)) statt in das Gesicht des Kindes, aber auch kleine Denkübungen, die helfen, das eigene Verhalten umzulenken. Und tatsächlich gelingt es mir seitdem viel öfter, meine Kinder nicht anzuschreien. Ich kann das Buch wärmstens empfehlen!